Donnerstag, 28. März 2013

Karl Marx Stadt back in 2011

Heute wird es mal Zeit, das Interview mit Christian Gierden aka Karl Marx Stadt für den Gluediver rauszukramen. Das Interview entstand 2011 in Vorbereitung auf einen Artikel den ich für´s Skug geschrieben habe. Leider gibt es den Artikel immer noch nicht online zu lesen. Was vor dem Hintergrund, dass die Schreiber des Skugs alle ehrenamtlich schreiben, wenig verständlich wird. Aber deshalb vlt umso besser, wenn hier jetzt wenigstens das Interview nachgelsen werden kann, das in dem Artikel auch nur auszugsweise abgedruckt war. Das andere Interview mit Istari Lastefahrer ist dagegen schon seit Jahr und Tag hier nachzulesen gewesen. Und das bleibt natürlich so. Insofern kommt, um Christian zu zitieren, erst jetzt wirklich zusammen, was zusammen gehört. Und um noch etwas oben rauf zu packen, habe ich eine bisher nicht gezeigten Plakat Entwurf von Steffen Ullman rausgekramt, der leider nicht für das Un/Rave damals in Oldenburg und Bremen zur Verwendung kam. Und jetzt kann ich es ja schreiben, eigentlich nur aus Angst, dass es wieder kein Bremer schnallt und die Hütte leer bleibt. Aber jetzt hier ist ein guter Ort. Ein Zine von Steffen habe ich übrigens gestern für mein Zinecerely Yours Blog renzensiert.

Vlt. ein kurzer Abriss was seit dem passiert ist.
Christian wurschtelt immer noch in seinem Job. Ich habe aber etwas über einen Wohnungswechsel nach Leipzig flüstern hören. Was ich als Neu Berliner natürlich schade finden würde. 
Seit kurzem gibt´s sein Label Karl Marx Land, auf dem dann Christian auch gleich mal unter dem Synonym Coco Lowres eine Single rausgehauen hat. Die Musik passt ein bisschen zu dem Plakat, oder? Das Design zur Platte und Label kommt aber hier her.

Die Single habe ich bisher leider auch nur in dem Snippet hören können. Die Platten von Multiparas Lux Nigra (s. Interview) dagegen, sind – jedenfalls zum Teil – im Mailorder von Felix wieder aufgetaucht. Alle mal besser, als in irgendeiner Küche zu vergammeln.

gl:
Die letzte Karl Marx Stadt Platte (12") ist von 2005 und das letzte von den Suckers kam um 2009 heraus bzw. die letzte EP 2007. Seitdem war´s relativ ruhig. Brauchte es solange, bis du wieder Material hattest oder hat die Lust gefehlt?
kms:
Ich hab eigentlich immer weiter Sachen gemacht. Es kam ja auch fast jedes Jahr ne kleinere Platte raus. Und es gibt auch nach wie vor noch mehr Material.
Aber das zweite Album ist bekanntlich das schwerste. Nach einigem hin und her ist nun endlich Sozialistischer Plattenbau Hamburg auf den Hund gekommen und nun gibt's gleich eine Doppel LP. Manche Titel sind auch schon etwas betagt, allerdings sehr schön gealtert, finde ich. SPB haben dann einfach geschaut, dass auch genug neues Material drauf kommt. Aber da gab's wie gesagt keinen Mangel.
Auf eine Suckers EP hätte ich schon Lust gehabt. Aber selbst Labels die noch halbwegs laufen, lassen sich nicht mehr hinreißen eine ganze 12" mit uns zu machen.
Und so konnte ich mich endlich mal drauf konzentrieren die wirklich verdrehten Sachen, jenseits von hart und Break, rauszulassen.
gl:
Was ist aus Lux Nigra geworden? Wäre das nicht eine Möglichkeit für Lux Nigra gewesen, aus dem Schlaf zu erwachen?
kms:
Gute Frage. Fragt Multipara auf http://luxnigra.de/
Wir wohnen nicht weit voneinander entfernt. Er hat glaub ich immer noch hunderte Lux Nigra Platten in der Küche zu stehen. Vielleicht kauft die Ihm einfach mal jemand ab. Aber ob er Lust hat noch mal anzufangen, weiß ich nicht.
gl:
Wie kam es dazu, dass du jetzt bei Sozialistischer Plattenbau veröffentlichst? Macht der Wechsel zwischen den beiden Labels für dich einen Unterschied?
Sag jetzt nicht eines gibt´s noch, das andere nicht!
kms:
Ich habe lange gesucht bis ich jemanden gefunden habe, der so eine Platte machen kann und auch mit ganzem Herzen dran hängt. Die Labels sind fast gleich alt. Lux Nigra hatte ein sehr weit gefächertes Programm mit vielen Künstlern, einem irre hohen Qualitätsstandard, das viel Aufmerksamkeit auf Artwork gelegt hat. Sozialistischer Plattenbau begann eigentlich fast als Autorenverlag und hat sich dann langsam für andere Künstler stark gemacht. Ich habe nun die Ehre deren Klangspektrum mal ganz anders zu bereichern. Vor allem sind bei Lux Nigra von Anfang an auch Alben erschienen, das gab's bei SPB bisher noch nicht.
gl:
Vor einigen Jahren hätte man dich mit der Breakcore Szene assoziieren können. Diese existiert heute nicht mehr wie in den Nuller Jahren. Fühlst du dich noch einer Szene verbunden und welche Folgen hatte für dich dieser „Umbruch“(wenn es denn einen gibt/gab)?
kms:
Am Anfang hieß das ja noch nicht so. Dann hab ich das ganze Theater eigentlich auch total gerne mit gemacht. Ich hab auch wahnsinnig viel gelernt von den ganzen Jungs und Mädels, Papis, Mamis, Kindern, Katzen, Hunden und dem Knattermusikliebhaber aller Herren Länder vereinigen sich. Das ist eine Aufbruchsstimmung gewesen, von der man wunderbar inspiriert werden konnte. Viele verschiedene schräge Musikstile trafen aufeinander und existierten parallel am selben Abend.
Es gab halt so viel schräges Zeug, man konnte auch noch nicht im Internet nachgucken was es da alles gibt. Dann kam das Internet und auf einmal konnte man alles nachgucken und runterladen und alles was einem einfällt in den Sampler packen und ordentlich dran rütteln. Das musste dann auch erst einmal gemacht werden. Da haben natürlich auch gerne alle mit angepackt.
Das ist jedenfalls etwas, was ich bis heute noch gerne mache, so kleine Samples verstecken. Auf diesem Album sind bestimmt einige Hundert ganz ganz kurze Sounds drauf, die man irgendwo auf einer obskuren oder nicht so obskuren Platte wiederfinden kann. Das hat mir selbst immer Spaß gemacht, rauszufinden wo was herkommt, wer was gesampelt hat und womit und wieso und wer das dann wieder verwurschtelt oder geklaut hat. Also abgesehen von den ziemlich vertrackten Rhythmuskonstruktionen sind dann auch immer wieder kleine Überraschungen versteckt.
Jedenfalls war's irgendwann nicht mehr interessant. Alles war schon mal verwurschtelt worden. Naja eigentlich denke ich, wie verwurschtelt wurde, ähnelte sich mehr und mehr.
Andere fingen an ganz massiv Synthesizer am Computer zu programmieren oder auch richtige Synthesizer zu kaufen und so teilte es sich vielleicht ein bisschen auf in Samplegewurschtel und Synthiegewurschtel. Die Synthiefraktion hat sich ganz abgespalten, weil sie Erfolg haben wollte oder hatte und auch mal was anderes als 300bpm Zeugs machen. Die Sample Fraktion streitet sich glaub ich jetzt noch was cool ist und was nicht.
Die Konsequenz für mich ist: Ich sitze gut 15 Jahre später auf einem Haufen Elektronikschrott, von dem ich mal gelernt habe wie man damit Musik macht. Also warum nicht einfach das machen, anstatt immer wieder den gleichen Breakbeat in den Sampler zu laden?
Von daher darf es mir eigentlich auch egal sein, was irgendwelche Szenen machen. Obwohl es da jüngst auch wieder interessante Sachen gibt.
gl:
Aber gehen mit der fehlenden Szene nicht auch die Möglichkeiten aufzutreten zurück bzw. Platten zu verkaufen? (Es gibt Marx sei Dank, ja immer wieder irgendwo interessante neue Szenen. Die Wartezeiten dazwischen sind hart. Jetzt muss man erst einmal warten bis Dubstep so richtig ruiniert ist.) [Kommentar 2013: Das dürfte sich ja spätestens 2012 erledigt haben.]
kms:
Klar, aber die "Szenen" waren ja auch alle mal klein und wurden dann erst groß, weil sich alle so liebevoll drum gekümmert haben.
Ich werde mich nicht drüber aufregen, dass alle in der U-Bahn auf ihr Smartphone starren, anstatt miteinander zu reden. Gegen Musikbegeisterte die zu Ihrer Lieblingsmusik miteinander eine Party feiern wollen, ist jedenfalls noch kein Kraut gewachsen.
Ich hab eine lange Zeit viel in solchen Szenen zugebracht und mich da auch viel fertiggemacht für. Das hat mir nur bis zu einem gewissen Grad gut getan. Ich fange es jetzt einfach noch einmal von vorne an. Bis jetzt ist die Resonanz sehr gut. Im Moment sehe ich mich einfach in 3 oder sogar 4 verschiedenen Szenen untergebracht. Ist ja eh quatsch, so ein Modewort, dem man hinterher rennt.
gl:
In einem früheren Gespräch zwischen uns beiden, hattest du den Projektcharakter von KMS betont. Jetzt ist es quasi ein Soloprojekt. Die Suckers existieren auch nicht mehr?! Ist das ein Paradigmenwechsel?
kms:
Vielleicht im Sinne einer anderen Betrachtungsweise. Aber die Musik kommt ja trotzdem aus mir heraus, da bin ich egoistisch geblieben. Die Suckers sind super, aber haben es einfach nicht geschafft so schnell so viel aufregende Musik zu machen, wie ich solo. Da sind wir uns auch nicht böse. Nach fast 15 Jahren haben wir auch mal Abstand gebraucht. Basti ist immer noch verdammt Bombe als DJ. Er macht jetzt allerdings auch seine eigenen Studiosachen. Wer weiß, wann da nicht vielleicht endlich mal ein Vinyl Release kommt. Im Internet kann man ihn hören als WASTED ACID FORCE. Mir gefällt's ganz gut, 100% Analog produzierte Musik. Wenn's irgendwann wieder so weit ist, wird es ganz sicherlich auch ganz wilde Liveshows geben.
(Am 12.11.11 gibt's übrigens ein seltenes Highlight: Karl Marx Stadt Live und DJ Nishinga im MRK in Blankenburg.)
gl:
Die neue Platte klingt "homogener" oder wie aus einem Guss. Ziel, Zufall oder Resultat einer Einzelarbeit?
kms:
Wen nennst Du hier Gentechniker, das ist alles organisch gewachsen.
Ob das Weltall mit mir irgendwas vorhatte als es mich so gemacht hat, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich diesen Schaden und der hört sich dann so an.
Das mit der Jahreszahl ist jedenfalls kein Witz. Der älteste Track ist von 1999, der neueste von letztens.
gl:
Umso verblüffender.
kms:
Das ist alles so subjektiv. Neu ist glaub ich, dass es eigentlich recht friedlich ist insgesamt. Die richtig derben Klopper sind halt nicht dabei, das stimmt schon. Ich glaube bei der Platte ist es so, dass es sich in alle Richtungen etwas weiter aus dem Fenster lehnt, und das haben die Stücke gemeinsam. Das wollte ich unbedingt mal machen – ganz viele eigentlich seltsame Stücke, die nur zusammenhalten weil sie alle so auseinanderfallen.
Ich habe halt jahrelang auch weitergebastelt an Songs, die eigentlich auf keinem Dancefloor funktionieren müssten. Tun sie ja dann aber doch. Und da sind sie nun. Sie haben weder Tempo noch Tonlage gemeinsam, sondern nur, dass ich getan habe was ich tun wollte.
gl:
Auf einem der Labelfotos inszenierst du dich als eine Mischung zwischen Mozart und Beethoven, beides Musiker Genies. Du stapelst nicht tief oder?
kms:
Ja genau, pures Understatement.
Genau genommen kann ich gar nichts, außer wirklich sehr sehr genau darauf hören was mir meine Fantasie eingibt. Ich bin ja so eine Art Forscher, ich suche etwas das es nicht gibt.

Eigentlich geht es auch nur um Unsterblichkeit.

Richtig richtig gute Musik gibt einem dieses Gefühl, dass einem keiner was kann. Dann hat man keine Angst vor dem Tod und keine Angst vor irgendetwas. Das ist wahre Musik.
Diesen Willen zur Unsterblichkeit, sowie meine Stumpfheit hab ich schon von Beethoven geerbt.
Im Ausland kriegt man gerne mal so was gesagt wie: "You sound so unbelievably german". Ein bisschen bin ich auch stolz darauf, dass ich schon als Kind so größenwahnsinnige Musik gut fand.
Mein erstes großes Opernerlebnis war ja recht früh.
gl:
Ist Beethoven ein direkter Vorfahre?
Bzw. ist diese Performance auch eine Antwort auf heutige Fragen? Oder hattest du irgendwann einfach kein Bock mehr in Sneakers und Hoodie auf der Bühne zu stehen und hast dann angefangen an dir rumzuspielen?
kms:
 Haha, nein. Meine Eltern waren beide Musiker und ich habe einfach meine ganze Kindheit und Jungend in Kirchen und Opernhäusern zugebracht.
Ich möchte mit allen Leuten das Gefühl teilen, das ich empfinde. Ich kann auch einfach nur die Arme in die Luft reißen. Aber der psychotische Komponist ist für mich ein schlüssiges Bild. Ein wahnsinnig gewordener Komponist, der direkt aus dem 18. Jahrhundert gekommen ist um den wildesten Scheiss vorzuspielen. Man stelle sich vor, Mozart würde Laptopschreddermusik vorgespielt bekommen, in der hier und da musikalische Fetzen zu entdecken sind.
Mir fehlt halt etwas in der aktuellen Musik, sich was zu trauen und was anderes zu machen. Und vor allem das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass sich Mühe gegeben wurde. Man höre sich diese ganzen Sachen an, die so released werden. Wo sind da die wirklichen Virtuosen in dem Brei? Wer von denen kann wirklich was und traut sich auch das so zu machen, wie er will?
Und letztlich es auch ein bisschen ein Statement gegen cheapness vielleicht. Ich hab einfach diese Mentalität satt, dass man so wenig wie nötig tun muss, um maximalen Erfolg zu erzielen.
gl:
Was würde Marx von deiner Musik halten?
kms:
Auf was stand der denn so? Das müsste man mal rauskriegen!
Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das als Musik wahrgenommen hätte. Oder anerkannt hätte.
gl.
Du unterschätzt ihn da!
Stimmt es das du als Kind drauf bestanden hast Keyboard zu lernen? (statt Klavier oder so)
kms:
Ich kann mir vorstellen, dass er es sicherlich als Kritik an der Entmenschlichung einer Industrialisierten Welt akzeptieren würde, vielleicht wär es ihm auch zu flach.
Leider wollte ich gar nicht Keyboard lernen, sondern irgendwas und irgendwas war dann Waldhorn. Das war aus verschiedenen Gründen nicht die beste Wahl. Klavier wär besser gewesen, aber auch anstrengender.
gl:
Musik wie die von dir bezeichne ich als Pop zweiter Kategorie, weil sie nicht für den Mainstream produziert ist aber auch nicht im Kontext von klassischer Musik vollkommen aufgeht. Entsprechend schwer sollte es für dich sein von deiner Musik zu leben. Wie schlägst du dich so durch?
kms:
Ich muss mein Geld woanders herbekommen und gehe arbeiten.
Aha. Erzähl mir mehr davon. Klingt gerechtfertigt aber auch irgendwie abwertend, was fällt da noch so für Dich rein? (Warum frag ich überhaupt.) Und warum geht das nicht im Kontext von klassischer Musik vollkommen auf. Klassik im Sinne von Klassik?
gl:
Die Unterschiede von E und U, hab ich ja nicht gemacht. Und du bekommst sicherlich keine Förderung, wie diese ein klassisches Orchester erfährt.
Pop 2 ist jedenfalls nicht abwertend gemeint. Pop 1 bezieht sich vermutlich auf die historische Entwicklung der Popmusik. Die Mischformen hat man möglicherweise verschwiegen und als man sie dann benennen wollte, weil sie nicht länger zu leugnen waren, blieb Pop 2.
Die weiterführende Frage ist aber, wie organisierst du deine Arbeit als Musiker, wenn du dann noch schuften musst. Bzw. braucht das eine vielleicht das andere über die monetäre Bedeutung hinaus?
kms:
Ich habe auf jeden Fall verstanden, dass Musik machen Zeit braucht, und das man Zeit nicht hat, sondern sich nehmen muss. All die schönen Spinnereien zu denen ich früher Zeit hatte, finden jetzt nur noch sehr komprimiert statt.
Manchmal hätte ich auch Lust ein größeres Setup zum Konzert mitzubringen, das wird dann aber meistens nix, weil man zumeist alleine sein Zeug tragen muss. Im Moment stehe ich darauf einen alten und einen neuen Computer dabei zu haben. Vielleicht einen oder 2 Effekte.
Zu Haus hab ich ein voll verkabeltes Studio, das Tag und Nacht auf mich wartet und einen Raum in dem ich mich entspanne und Klavier spielen kann. Das tut mir beides sehr gut.
Eigentlich fange ich sofort an zu komponieren, sobald ich ein Aufnahmegerät oder einen Sequenzer anschließe.
gl:
Schreibst du Partituren?
kms:
Leider nein. Das hab ich aber auch nie gelernt.
Eine Variante ist, ich spiele was am Klavier, nehme das auf und überleg mir was weiter passieren soll.
Eine andere ist, ich nehme irgendeine Maschine, spiele da etwas hinein, baue dann darauf auf und fülle solange alle Spuren bis mein Mischpult nicht mehr ausreicht.
Entweder ich bin dann happy und hab Lust auf längere Passagen oder es war nix und ich versuch was anderes.
Oder ich fang einfach wie wild an den Computer zu befüttern, das geht natürlich auch.
Im Moment hab ich allerdings viel Spaß am Klavier, weil es einfach schön ist neue harmonische Zusammenhänge zu verstehen.
Ich hätte das mal irgendwann in der Musikschule verstehen sollen, aber erst jetzt dämmert's.
gl:
Noch ein Nachtrag zum arbeiten vs. musizieren. In der DDR wäre deine Arbeit eine Bitterfelder Lesefrucht für den Bereich der Musik gewesen.
Wie viele deiner Familienmitglieder haben eigentlich den Karl Marx Orden bekommen? (abgebildet auf der KMS 97-11 bei Lux Nigra.
kms:
Das weiß ich nicht. Die meisten sind tot. Ich hab aber die Dinger bei den Eltern von Freunden rumliegen sehen. Sind auch einfach weggeworfen worden.

Bitterfelder Lesefrucht. Super. Danke!
gl:
Geht der Karl Marx Stadt Bezug über einen nostalgischen Wert hinaus?
kms:
Leider hab ich's nicht im Ausweis stehen, weil ich aus Leipzig bin und es gibt sicherlich noch vielmehr Potenzial aus dem Namen zu ziehen.
Ich bin eigentlich auch nicht alt genug, um Musik über Karl Marx Stadt zu machen.
Aber ich bin in Chemnitz aufgewachsen, und meine Musik ist zutiefst innerster Ausdruck meiner Jugend in der Stadt. Es gibt vieles wofür ich dankbar bin, aber auch Umstände, mit denen ich dort einfach nicht umgehen kann.
Es ist ja keine Nostalgie im Sinne eines geschönten Rückblicks, sondern durchaus eine Gewisse Hassliebe zu der Stadt. Warum benennt sich meine Heimatstadt einfach um? Was wird für die Jugendlichen getan? Warum gibt es so viele Rentner und warum nehmen die sich so viel raus?
Ich bewundere die Leute die dageblieben sind und dort etwas aufgebaut haben. Viele davon haben einen Anteil daran, dass ich solche schrägen Töne mache.
gl:
Gibt es noch viele Verbindungen nach Chemnitz, wann hast du das letzte Mal dort gespielt?
kms:
Immer Heiligabend im Weltecho, früher im Kapital und im VOXXX, seit glaub ich 10 Jahren.
Ich mag halt gerne meine Freunde sehen, ansonsten halte ich's da nicht aus.
gl:
Ist das bloß Geroyche oder noch andere Leute?
kms:
Chemnitz hat für eine mittelgroße deutsche Stadt wirklich erstaunlich viele kleine Szenen. Manchmal kann man sich vor Partys nicht retten. Es gibt Ragga und Reggae mit Sensi Movement, Reggae und Hiphop mit Phlatline Sound, Kode Dubstep mit Geroyche & Motorv8a, Jungle mit D.i.S., Drum and Bass mit Dead Metropolis. Alle haben Foren am Start und eine Fangemeinde. Alle machen Radioshows und Mixe. Es gibt auch gabber, techno und house crews, bands und alles.
Das kann aber leider trotzdem meistens nicht gegen irgendwelche 10Floor Schlagerkommerz Partys für Studenten an.
gl:
Fehlt IDM, vielleicht solltest du doch zurück?
Gegen die Studies kommt man letztlich nicht an.
Aber woher kommt das Marx Bild auf dem Cover, ist das die Büste aus London/Highgate? Welche Verbindung besteht zu asiatischen Schriftzeichen?
kms:
Vom Grafiker von SPB. Ich glaube, das ist der Blickwinkel vom Dach der Diskothek Starlight in Chemnitz gegenüber vom Marx. Und das ist mal nicht der freundliche milde gestimmte Papiblick, den man als normaler Mensch hat, sondern der strenge Vater der einem Auge in Auge etwas ernstes sagt. Da drunter steht Karl Marx Stadt auf chinesisch.
gl:
Ist das Bild und Schrift auf deinen Wunsch hin auf dem Cover?
kms:
Ja, die meisten Menschen wohnen halt in China und für die müsste Marx eigentlich ein Thema sein. Ist es aber nicht, wenn man den Medien glauben kann.
gl:
Die haben doch mehr als eine Sprache?!
kms:
Ja, das war ein Problem. Ich hoffe es ist trotzdem zu verstehen. Jedenfalls habe ich großen Respekt für den Beitrag Asiens an der Zivilisation und wollte auch mal zurücknicken und danke sagen. Japan hat ja nun mit Karl Marx gar nix zu tun. Obwohl ich eigentlich ein großer Japan Fan bin.
Vielleicht hätte ich die Platte Karl Marx City nennen müssen.
gl:
Es gab auch in Japan eine große KP, meines Wissens. An deinen Japan Fimmel, glaube ich mich auch noch erinnern zu können. Andererseits, wer hat den nicht?
Vorletzte Frage. Sowohl der Begriff Karl Marx Stadt als auch der Name sozialistischer Plattenbau beziehen sich auf Projekte des real existierenden Sozialismus. War dir das bewusst, habt ihr das mal thematisiert du und Felix (Der Lasterfahrer bei Sozialistischer Plattenbau)?
kms:
Hach, wenn wir mal Zeit hätten. Ich muss Ihn unbedingt mal besuchen. Ich bin ja der Ossi und er der Wessi. Mal sehen was es da eigentlich zu sagen gibt.
Ansonsten vielleicht: da wächst endlich zusammen, was zusammen gehört.
gl:
Solltest du Pläne machen, welche sind das für die Nähere Zukunft? Hoffentlich nicht erst in fünf Jahren ne Doppel LP!
kms:
Die nächste Platte ist eigentlich schon im Kasten. Fragt sich wer die rausbringt. Aber wird es geben. Nach wie vor heiß und zu haben ist meine Zusammenarbeit mit LXC aus Leipzig – SPACEFUCK auf SPACEFUCK, mit den Titeln SPACE und FUCK. Die haut auf jeden Fall richtig gut rein, wenn man's doch doll wollte. Ansonsten wird's sicherlich auf Alphacut oder Alphacute weitergehen. Und ich bin ja bei den SKWEEE Brüdern mit dabei auf HARMÖNIA Records.
Sonst kommen jetzt auch erst einmal ein paar Konzerte.
gl:
Möchtest du abschließend auf die Frage antworten, die ich deiner Meinung nach vergessen habe zu stellen?
kms:
Mit Impulse Tracker!
gl:
Wie findest du Sunvox?
kms:
Ist halt mehr so'n insider.
…zu klein fürs Display am 3g, ganz nett am Computer aber unmöglich zu Händeln. Tracker ohne Tastatur ist wie Burger ohne Brötchen.
gl:
Also dann, vielen Dank.

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