Sonntag, 4. Dezember 2011

Im Bremer Viertel wird eine Wohnung frei

Für Bremer Verhältnisse, gutes Wetter. Es regnet nicht bzw. es hat nicht geregnet und auch die Sonne hat noch ein wenig geschienen. Es war Tag. Es ist immer noch Tag aber jetzt ist nicht mehr hell. Wenn ich richtig rekonstruiere, hat sich in meinem Gehirn das Substitut so weit verflüchtigt gehabt, dass mir leicht schwummerig wurde. Aber es hilft nicht übers Wetter zu reden oder auch nur drinnen zu sitzen. Ich habe mich auf dem Weg zur Bremer Kreativwirtschaft gemacht, weil es heute nicht zum Flohmarkt gereicht hat. Es war kalt, so dass ich den Pullover, den ich unter Jacke trug, in die Hose stecken musste. Wege hinein ins Viertel mag es viele geben aber ich nutze nicht mehr als vier verschiedene. Jedenfalls wenn ich von zu Hause ins Viertel gehe. Wie bereits geschrieben, es war kein schlechter Tag für einen Gang ins Viertel. Aber lass uns nicht übers Wetter sprechen. Noch bevor ich die dritte Kreuzung erreicht habe, sehe ich das Bullen Auto stehen. Bullen ist ein Synonym für die Polizei. Die Polizei parkt auf dem Gehweg. Die abgesenkten Bordsteine und der Platz auf dem Gehweg vor der Pizzeria scheinen wie gemacht zu sein für die Mittelklasse Limousine der Polizei. Der Wagen ist leer. Links im Blickfeld kommt ein Balkon in Sicht. Die grelle Kleidung eines Sanitäters oder Notarzt reflektiert das Licht, was ein durchschnittlicher Wintertag so zu bieten hat. Das wenige Licht ist dafür ausreichend und die gut sichtbaren Farben seiner Arbeitskleidung tun ihre Pflicht. Es besteht nicht die Gefahr ihn als einen selbstverständlichen Bestandteil der ihn umgebenden Kulisse zu halten. In unübersichtlichen Verkehrssituationen soll ihm die Funktion seiner Kleidung dazu dienen nicht in einem Nachfolgeunfall verwickelt zu werden. Eine ältere Frau und der Notarzt unterhalten sich ruhig. Erst bei dem Blick zurück sehe ich eine Frau, die an der Wand des Balkons gelehnt steht. Ihr Kopf von ihren verschränkten Armen bedeckt, sie hat sich von dem Gespräch der anderen beiden abgewendet. Ich gehe meinen Weg zum Kulturbunker weiter ohne stehen geblieben zu sein. Auch wenn ich hätte mittrauern wollen. Der Suizid der vermutlich wenige Stunden zuvor in der Wohnung stattgefunden hat, lässt mich aber nicht los. Nach dem ich die Humboldtstraße überquert habe, schon kurz davor auf den Ostertorsteinweg zu treffen, kommt mir ein Paar mit kleinem Kind entgegen. Vater und Sohn beschleunigen ihren Gang und lassen Frau respektive Mutter hinter sich. Sonst ist nicht viel los auf dieser eher kleinen Straße. Gleiches gilt nicht für den Ostertorsteinweg. Hier ist fast immer noch was los. Auch ein Grund wieso ich ins Viertel gezogen bin. Das Mindestmaß an Urbanität das man sich in dieser Stadt gönnt. Bis zur Berliner Straße schaffe ich es aber immer nicht bzw. verwechsele die Straße davor mit der anvisierten. Also laufe ich über den Berliner Platz zur Berliner Straße. Die Seilpyramide am Spielplatz, die den Kindern zum spielen dient, ist über und über mit Luftballons geschmückt. Fast an jedem Knotenpunkt ein Luftballon. Auf dem Spielplatz selbst sind nur zwei Mütter mit ihren Kindern. Auf der Berliner Straße ist schon eine ziemlich große Personengruppe auf dem Weg zum „Kreativmarkt“. Ich beschleunige mein Schritttempo um mich vor die Gruppe zu setzen. Es ist schon komisch, dass die Manufaktur der Ausgang aus dem Postindustriellen Zeitalter darstellen soll. Aber das denke ich erst jetzt und nicht vorhin. Ich hätte umdrehen können aber ich war ja fast schon da und wollte J. etwas fragen, im Idealfall Freunde treffen und vielleicht auch XXX, um im Bestfall ein paar Worte zu wechseln. Aber eigentlich war dazu ehh nicht mehr die Laune da, wenn sie denn überhaupt irgendwann heute mal da war. Ich bin vor der Gruppe am Kulturbunker. Man muss sich fast in den Eingang hinein schieben. Aber bis rein komm ich erst gar nicht, weil die ersten guten Bekannten im Eingang stehen. War ich ein guter Unterhalter? Ich glaube tatsächlich dass der Zynismus den ich mir für solche Situationen angeeignet habe tatsächlich halbwegs amüsant ist. Zumindest lassen meine Assoziationsketten so große Lücken, das ein jeder immer noch einen Teil eigener Häme hineinstecken kann, so dass man am Ende zu dem Schluss kommen kann, dass die anderen die hier sind es nicht raffen, dass sie in ihrer Betulichkeit gerade zu vulgär sind. Aber dabei hat jeder von uns irgendeinen Grund gehabt zu diesem Kreativmarkt zu gehen. Man muss deswegen nicht an Kritik sparen. Sicherlich der Großteil der Leute an diesem Tag dort gehört zu einer reflektierten Gesellschaftsschicht, die meint, diese Welt würde daran genesen wenn man ihr nur genug bunte Artefakte hinzufügt. Und wenn nicht die Welt daran heilt, dann doch zumindest die eigene Seele. Als wenn Verlust und Kränkung an ihren Türen vorbei gehen würden, in eine solche Wohnung nicht treten würden. Freud hat mich gelehrt das es nicht so ist und Marx, das es da aber durchaus qualitative Unterschiede gibt. Mit was sich geschmückt wird, in welchen Maßen und wer wo, zu welchen Zeitpunkt, in welche Wohnungen schmückt oder tritt. So treffen sich die seienden Mütter zum Chaitee, während woanders der Notarzt unter Beaufsichtigung der Nachbarschaft durch die Tür schreitet. Vielleicht ist die Familie schon anwesend. Und die Polizei. Sie macht die Formalien. Ein Gewaltverbrechen kann ausgeschlossen werden. Der Arzt nickt den Beamten zu, kümmert sich um die Lebenspartnerin des Verstorbenen. Legt ihr seine Hand auf die Schulter. Ein Beruhigungsmittel wird intravenös verabreicht und die Kälte auf dem Balkon, ist womöglich das einzige Trostspendende in diesem Moment. Und was ist da in diesem Moment? Sicherlich nicht viel mehr als Trauer und Wut. Aber das war ja Stunden vorher. Nachdem ich mich von meinen Bekannten verabschiedet habe dränge ich mich einmal in Runde an der Warenständen vorbei. Für mich ist nichts dabei. Ich will mich nicht mit Verniedlichungen schmücken. Einen kurzen Moment trete ich auf der Stelle, bleibe einen kleinen Moment in mir und für mich. Abgelöst von einem kurzen Gespräch mit L. Danach aber niemand mit dem sich ein Gespräch anbietet oder der die mir eines anbieten würde. Also schnell zurück durch den engen Durchgang ins Freie. Aber was kann das schon bedeuten. In diesen Moment, denke ich darüber nach, mit was ich mich schmücken würde wollen. Vlt mit einem Hieb von einem Hackmesser im Gesicht, das auf der linken Gesichtshälfte von der Stirn bis über die Wange verläuft oder einen Ganzkörpertätowierung in schwarz. Zumindest Gesicht, Hände und Füße. Aber das ist tatsächlich alles nur die peinliche Instituierung einer Sinnwelt, die ich als wahrhafter wissen möchte. Und gerade da wo es darauf ankommen sollte, kann ich selber gar nicht dazu stehen. Auf dem Rückweg ist ein DVD Player auf den Gehweg zum mitnehmen gestellt worden. Jetzt mein erster DVD Player des Lebens. Komisch, das als ein kleines Stückchen Glück zu empfinden, angesichts der Tatsache seid Jahren nie soviel Geld übrig zu haben, sich ein solches Gerät zu kaufen. Und angesichts dieses Gedankens ist das Quäntchen Glück auch schon aufgebraucht. Auf dem Balkon von vorhin steht jetzt eine andere Frau, sie wartet anscheinend auf das Eintreffen einer Person. Die einzige mögliche Handlung mit der sie dem um sie herrschenden Chaos einen Sinn aufzwängen kann. Einen kleinen Sinn nur, aber einen der sie davor schützt alles in Frage zu stellen was sie umgibt. Aber wie sollte man auch alles um sich denken? Das geht ja gar nicht. Und so macht die trivialste Handlung mehr Sinn als das Grauen das einen umgibt. Zu Hause angekommen teste ich den DVD Spieler der weniger als gut funktioniert. Ich suche mir die traurigste Musik raus, die auf die Schnelle zu finden ist. Wieder mal Alice in Chains. Dann lege ich mich hin, das Telefon höre ich nicht. Und erst danach beginne ich den Text, den ich jetzt beende. Kein Kontrolllesen. Einfach raus.

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