Freitag, 25. Dezember 2015

Schallplatten, der ganz normale Wahnsinn der industriellen Kulturproduktion


Ich bin nicht nur Musikfan. Nein, viel Schlimmer, ich bin Plattensammler. Davon gibt es dann noch einmal verschiedene Typen. Ich gehöre zu den Schatzsuchern. Und gehöre damit vermutlich zu den irrationalsten Typen unter den Plattensammlern. Aber es macht mir Spaß, mich durch Kisten schmutziger Platten zu graben, immer in der Hoffnung die eine Platte zu finden, von der ich vielleicht noch nicht einmal weiß, dass sie existiert. Momentan ruht dieses Hobby ein bisschen. Aber wenn ich in anderen Städten bin, nutze ich die Gunst der Stunde. In Kassel mag ich besonders das Lost & Found (hat nichts mit dem gleichnamigen Label zu tun). In Kassel habe ich ein paar Tage bei meiner Schwester im Kreise der Familie verbracht. Selbstverständlich bin ich auch für ein paar Stunden in den Plattenläden abgetaucht. Ich war nicht so supergut drauf und es sah auch so aus, als würde es nur ein okayer Einkauf werden. Ein paar Platten die man mitnimmt, weil sie günstig sind, aber die man nicht unbedingt braucht. Gefreut habe ich mich, weil ich von der Endtroducing von Dj Shadow eine Platte in ner Papiertasche gefunden habe. Mit der Platte verbinde ich meine Anfangszeit in Bremen. Von Hilko habe ich mir die Platte auf eine MiniDisc gebrannt und habe wiederholt Fahrradtouren um den Werdersee gemacht, mit Dj Shadow im Ohr. Egal, besser wäre es natürlich gewesen, wenn ich nun vor zwei Tagen beide Platten der Doppel_Lp gefunden hätte. Aber dann wäre sie wohl auch in der Originaltasche gewesen und hätte einiges gekostet. So also für kleines Geld, wenigstens die eine Platte. Beim durchhören habe ich ein nahe liegenden 7" Plattenhaufen umgekrempelt. Mir wäre beinnahe das Herz stehen geblieben, als ich die Single zu Funnel of Love von Wanda Jackson dazwischen gefunden habe. Ich liebe das Lied aber die Single ist selten und bisher hatte ich sie noch nie irgendwo angeboten gesehen. Außer auf Discogs aber da war sie mir zu teuer gewesen. Ich kannte also das Lied schon und trotzdem ist der Blitz eingeschlagen und die Hände wurden zittrig. Gleich als nächstes die Platte aufgelegt. Und..........kurz nach dem Anfang ist sie gesprungen. :-( Mist, dass war ein bummer. Noch einmal von Anfang gespielt und wieder gesprungen. Buhuhu. Für normal erhalten hätte ich bestimmt auch 15€ gezahlt. Aber so war mein Enthusiasmus doch erheblich gebremst. Anderseits konnte ich mich doch selbst dabei beobachten, wie ich mir den Kauf schön geredet habe. Letztlich ist es besser eine geliebte Platte von nicht so guter Qualität zu besitzen, als gar nicht. Und ich hatte noch einmal Glück, an diesem Tag, denn der gute Mann bei L&F hat mir die Single zu meinem restlichen Kauf so mitgegeben. Das ist mir nicht zu ersten Mal passiert. Ich glaube, dass ist auch so eine Standardhandlung von Plattenhändlern. Selber ticken sie ja ähnlich, wie ihre Kundschaft. Sie schmeicheln also dem Wahnsinn der Kundschaft, geben diesen Futter, wissen aber auch, es rechnet sich Hintenrum. Der Affe wird für das Stückchen Zucker, immer wieder zurückkehren. Und wie gesagt, der Laden ist so aufgebaut, dass man irgendetwas bestimmt findet, was an einem hängen bleibt. Jetzt bin ich wieder in Berlin, und habe somit die Möglichkeit mal durch die Platten zu hören, welche es von Kassel nach Berlin geschafft haben. Über die Wanda Platte, habe ich mal mit meinem Zaubertuch gewischt. Naja, der eigentliche Zauber besteht in der Waschflüssigkeit und auch der größeren Toleranz meines Schallplattensystems, denn ohh Weihnachtswunder, die Platte springt hier nicht! Wenn ihr euch also wie meine Eltern fragt, woraus sich mein Wahnsinn speist, dann wisst ihr nun, aus Geschichten wie diesen. Etwas seriöser recherchiert, ist der Wahnsinn hier in dem Buch Plattenkisten vom Ventil Verlag, dass ich mir von meinen Eltern gewünscht und geschenkt bekommen habe. Ich glaube für Diggers ist das alles nicht neu, was darin steht aber die Bilder im Buch sind sehr gut und sehr präsent. Ein Interview mit Plattenpedro ist auch drin. Sein Laden habe ich vor fier oder fünf Jahren in Berlin entdeckt und er gehört zu den verrücktesten, die ich je gesehen habe. Allerdings ist das ein Laden, in den geht man, um eine bestimmte Auflage von Platte XY zu kaufen. Und so suche und kaufe ich eben eher selten, deswegen war ich auch erst einmal dort. Und von mir um die Ecke liegt er auch nicht.
Was ich an dem Buch übrigens nicht so gut finde, dass es keinen "Artikel" gibt, der es schafft das Schallplattenphänomen systematisch zu erfassen und damit für Kritik öffnet. Das ist mir wichtig und damit wäre dann auch umrissen, welche Formen das Nischenprodukt Schallplatte oder auch andere analogen Medienträger in Zukunft annehmen werden. Jedenfalls unter kapitalistischen Bedingungen. Der Zauber des Diggens würde damit nicht verloren gehen. Aber vielleicht würde dadurch die Frage in den Fokus geraten, wie wir in Zukunft leben wollen. Das ist nicht immer ein explizites Thema von Kulturproduktion, wie bspw. dem musizieren, aber immer doch auch ein implizites. 

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