Montag, 13. Juni 2011

ICH BIN, WAS DU VERGESSEN HAST

Ich bin die Hure an der Bar,
die ich vor hundert Jahren war.

Ich bin, was du vergessen hast.
Der ausgestorbene Palast,

der Mund bin ich, der dich verzehrt.
Ich bin die Nacht, die wiederkehrt.

Ich war, ich werde sein, ich bin
die maulbeerfarbne Negerin,


das Meer, das dir zu Füßen schäumt.
Ich bin der Hund, der von dir träumt.

Das Haschisch bin ich, das du rauchst.
Ich bin der Strom, den du verbrauchst.

Ich bin der Tropf, an dem du hängst,
der Haufen Geld an den du denkst.

Ich bin das Auge, das dich sieht,
die Zarin, die vor dir hin kniet,

Und die dich in die Wüste schickt.
Ich bin der Stricher, der dich fickt.

Ich bin dein Engels und dein Marx.
Ich bin der Deckel deines Sargs,

das Fleisch, das du zu Abend isst.
Ich bin dein Abgott und dein Mist.

Ich bin, ich werde sein, ich war
die Fledermaus in deinem Haar.

[Hans Magnus Enzensberger]

4 Kommentare:

aristid kuwalda hat gesagt…

Ich hab mit seinem Bruder mal eine Lesung in Neuruppin gemacht.
Danke für die Erinnerung.

Rook hat gesagt…

Wunderschönes Liebesgedicht. Wie schön, dass wir den selben Geschmack teilen, Herr Kuwalda

mullmann hat gesagt…

schön. vom bruder wusste ich gar nichts. wer ist denn das?

aristid kuwalda hat gesagt…

http://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Enzensberger